Montag, 27. August 2007
fast forward 2020>2035
Topic: 'CP-article'
Das also ist 2035. Fünfzehn Jahre nach 2020, dem Punkt in der Geschichte, den man als Höhepunkt – und Wendepunkt – der Cyberpunk Bewegung betrachten kann. Der Punkt, an dem es abwärts ging. Abwärts mit der Welt. Abwärts mit den Punks. Abwärts mit der alten Edge.

Nicht, dass wir uns missverstehen: Die Welt war auch schon 2020 am Arsch. Und trotz allem damaligen Gejammere hätte trotzdem niemand bestritten, dass es der Welt insgesamt weit besser ging als, sagen wir mal, zu Zeiten des Großen Zusammenbruchs, der Atomschmelze im Nahen Osten oder den Jahren, als sich eine Welt, die dachte, vereinzelte Terroranschlägchen vereinzelter Terroristchen und ein paar Wirbelstürme mehr im Jahr seien ihre größten Probleme der bitteren Wahrheit stellen musste, die man am besten mit dem unsterblichen Songtitel „You ain’t seen nothing yet“ beschreiben könnte.

Von der Mitte der 2010er bis zu den wilden 20ern des 21. Jahrhunderts fand eine Kulturrevolution nie gekannten Ausmaßes statt. Getrieben von einer unbeschreiblichen Innovationsflut im technischen, kybernetischen und kommunikativen Sektor veränderte sich das Leben der Menschen, die Art zu denken, zu wirtschaften und zu empfinden weit schneller als der Mensch selbst. Der Technoshock brach aus. Trotz globalisierter Vorgabe einer gewissen Einheitskultur zerbrach die Menschheit in verschiedene Lager. Reich und arm entkoppelten sich endgültig. Der Mittelstand verschwand oder wurde durch rasch wachsende Konglomerate, riesige Firmennetze, Megakons, assimiliert. Der Generationenvertrag wurde aufgekündigt. Und die Einführung neuester Technologien schneller, als die Hits von letztem Jahr sich durchsetzen konnten, zerspaltete die Menschheit in Technofetischisten, Stino-User und mehr oder weniger extrem ausgeprägte NeoLudditen, die sich aus Romantik oder Geldknappheit bewusst gegen die neuesten Implantate, Tools und Toys wehrten.

Diese gewiss nicht goldene, sondern Blut-, Öl- und CHOOH2-verkrustete Ära war die Geburts- und Glanzzeit der Cyberpunk-Bewegung. Eine Zeit, in der Attitude alles war. Und zwar eine EIGENE Attitude, die sich durch Taten, nicht Labels unterschied. In der die Punks an der vordersten Edge neuester Technologien surften. Die sie gegen die Multis und Megas einsetzten, um gegen alle kongesteuerte Propaganda die Wahrheit über die „schöne neue Welt v2020“ herauszufinden. Und sie zu Ca$h oder Rep zu machen.

Um den Beginn des Vierten Konzernkriegs herum, so könnte man heute ohne Berufung auf irgendeine Art verlässlicher Quellen sagen, hatte sich die Kulturrevolution so weit gebremst, das wieder so etwas Ähnliches wie Normalität entstand. Nicht aus dem Blickwinkel der Anfang-2000er, natürlich, aber eben aus dem Blickwinkel von 2020: Man wusste, wer die Movers und Shakers waren, wer im Spiel der immer moralloser werdenden Weltwirtschaft die Hosen anhatten, wer die Guten und wer die Bösen – das heißt: wer die nur Raffgierigen und wer die absolut Verabscheuungswürdigen waren.

Einige sagen, dass es dort war, da die Cyberpunk Bewegung ihr Herz verlor. Indem sie corporate ging.

All die technischen Gimmicks und Gizmos kosteten ein irres Geld. Die alternden Körper der Punks, die besser werdenden Abwehrstrategien der Cons, die zunehmende Militarisierung der Sicherheitskräfte und Cops, all dies erhöhte den Geldbedarf der Cyberpunk Szene gewaltig – ein Millionenbiz, an dem vor allem eine neue Klasse von Elite-Fixern absolut nicht schlecht verdiente. Kartelle entstanden, die den Schwarzmarkt dominierten. Preise diktierten. Und bald dafür sorgten, dass die Punks sich nach neuen Geldgebern umsahen. Oder direkt gegen Warez und Implants arbeiteten.

Klar war es noch die Edge. Aber nicht mehr die Street. Aus dem Kampf um die Wahrheit war „James Bond trifft den Millionen-Dollar-Mann“ geworden. Von der Szene weitgehend unbemerkt, fand der große Buy-Out statt. Rocker gingen gegen ihre Überzeugung doch bei großen Labels unter Vertrag. Solos wurden „feste Freelancer“ bestimmter Kons. Netrunner gaben Kurse für Sicherheitsprofile – oder wurden gleich Corporate SysOp. Ganze Nomadenkonvois gründeten sich als Baufirma. Und wer keinen festen Sponsor hatte, sprang von miesem Black Op zu Black Op, wurde verheizt oder musste gegen gute Bezahlung seine inneren Überzeugungen ablegen.

Der Vierte Konzernkrieg beschleunigte das. Jeder Krieg ist eine Art Fast-Forward-Taste der Geschichte. Ganze Heerscharen von Punks – viele von diesen inzwischen jenseits der 30 (manche nah der 40) und darum an Sicherung ihrer Zukunft und Bling-Bling mehr interessiert als daran, gegen Windmühlen zu kämpfen – heuerten bei OTEC, CINO, später (vor allem) bei Militech und (einige wenige) bei Arasaka an und kämpften den härtesten und mit Sicherheit unmoralischsten Krieg, der je auf Erden getobt hat.

Vielleicht ist dies das Verstörendste daran: Ausgerechnet diejenigen, die sich die Bewahrung der menschlichen Werte einst voller Idealismus auf die speckigen Fahnen geschrieben hatten, waren es nun – viele Cyberimplantate, viele böse Erinnerungen, viel Abstumpfung gegen das Elend und mehrere Terabyte Konzernpropaganda später – die eines schönen Sommertags inmitten einer Mall für Angestelte aus dem Heck eines Vans kletterten und reihenweise Frauen und Kinder niedermähten. Zur Demoralisierung des Gegners. Dessen Angestellte nun mal sein wichtigste „Asset“ sind.

Mit Sicherheit ist es zu einfach, den Niedergang der Cyberpunk-Bewegung am Konzernkrieg und den Greueltaten einiger alleine festzumachen. Jeder hat da seine Lieblingstheorie. Die Abstumpfung durch Millionen Carbon-Tote weltweit. Die Entfremdung durch nie auf ihre Langzeitwirkung getestete Implantate. Die Erkenntnis, dass am Ende immer die Konzerne gewinnen. Die Schuldgefühle, weil man missbraucht wurde. Die subtile Erosion der Persönlichkeit durch verstecke psychotropische Programme, emotionsverändernde Musik, geheime Nahrungsmittelzusätze. Auch die Frage „was ist der Mensch?“ im Angesicht von AIs, beginnender Klon-Tech, Cyborgs, Ghosthacking und genetisch optimiertem Nachwuchs. Die Auswahl an Möglichkeiten scheint grenzlos. Vielleicht war es eine Verbindung aus allem.

Einigkeit herrscht in dem, was von der Szene übrig blieb, dass der Niedergang der Cyberpunk Kultur ebenso sehr hausgemacht wie von außen verursacht wurde. Zum Korrumpieren gehören immer noch zwei: Der Kon, der das verlockende Angebot macht – möglicherweise mit dem direkten Ziel, die Bewegung zu entzweien – und der Punk, der einschlägt und gegen mieses Kon-Geld einen miesen Kon-Job macht. Und sich selbst zur Arschfickhure der Bonzen. Was hat das mit Revolution zu tun?

Eben. Nichts. It’s just biz.

Betrachtet man sich die heutige Medienlandschaft, so beherrscht der Steinbrockenkrieg von 2033 die Berichte als das zentrale Ereignis, welches das Leben der Menschheit fundamental änderte. Dabei ist auch dieser nur ein Fast Forward für strukturelle und kulturelle Veränderungen gewesen, die längst im vollen Gange waren – wie JEDE welterschütternde Veränderung zumindest im Rückblick schon Jahre zuvor abzusehen war. Sei es 9-11, sei es der Nuklearkrieg in Nahost, sei es jeder der Konzernkriege, oder sei es eben die Ausrufung der Autonomie der Orbit-, Mond- und Marskolonien durch die Highrider, die im Weltall Geborenen, und deren kurzer, aber heftiger Krieg gegen die Erdstaaten, die diese Unabhängigkeit anzuerkennen nicht bereit waren.

Zeit vergeht. Cyberpunks werden alt. Im All Geborene werden erwachsen und haben selbst Kinder, die nie einen Fuß auf die Erde gesetzt haben (und es aufgrund der Schwerkraft auch nicht überleben würden), Helden sterben an ihren Prinzipien oder geben diese auf und leben. Irgendwie. Aus Firmen wurden Netzwerke. Aus Netzwerken wurden Keiretsus bzw. Multinationals. Aus Multis wurden Megakons. Und aktuell werden aus Megakons IGs, Interessengemeinschaften. Die Konzernkriege, vor allem aber die beiderseitige de-facto-Auslöschung von Militech und Arasaka, hat prägenden Einfluss auch auf die anderen großen Unternehmen gehabt. Vor der Erkenntnis, welche Unsummen auf Spionage und Spionageabehr, auf Sicherheits-Wettrüsten und Bezahlung einer Heerschar in höchstem Maße unzuverlässiger Freelancer (Cyberpunks) aufgewendet und völlig unproduktiv vernichtet werden, nutzten die Megakons die historische Chance der Highrider-Revolution, die Erdstaaten zu entmachten (bzw. diese wie im Fall der Incorporated States of America vollständig zu übernehmen), die letzten Kartellgrenzen niederzureißen und sich innerhalb ihres jeweiligen Marktes mit den jeweiligen Hauptwettbewerbern zu Interessengemeinschaften (Interest Groups, IGs) zusammenzuschließen.

Firmenübergreifende Absprache von Preisen, Lieferbedingungen und technischen Formaten und Standards hat es zu allen Zeiten gegeben. Im Orbit, außerhalb des Blicks, der Kontrolle und des Zugriffs durch irgend eine Art gewählter Instanz, haben die Megas diese Methodik professionalisiert und institutionalisiert. Und die Cyberpunk Szene über Nacht trocken gelegt.

Nicht nur sind die Jobs des einen gegen das andere Unternehmen sehr viel seltener geworden (obgleich es diese natürlich weiterhin gibt), die Unternehmen sehen – in diesem Anbietermarkt – auch weniger Grund, überhaupt Externe zu beauftragen. Oder diese ordentlich zu bezahlen. Oder überhaupt. Dies tun sie nur dann, wenn sie sich deren Loyalität absolut sicher sind (in den 20ern haben einfach zu viele Punks die während eines Jobs gewonnenen Infos auch an Dritte weiterverkauft. Dies rächt sich jetzt bitter). Vor die Wahl gestellt, weiterhin als Freelancer unter hohem Risiko (inkl. Verrat durch den Auftraggeber) und unter der Prämisse von injizierten Giftkapseln, Nanosprengstoffampullen oder kodierten LoyalitätsChips bei eher sinkenden Gewinnspannen und ohne Garantie des nächsten Jobs zu arbeiten oder aber die Attitude an den Nagel zu hängen und „den Morgan zu machen“ – also sich fest anheuern zu lassen – entscheiden sich die meisten für Letzteres. Einige wenige versuchen, sich als Firma für Konzernsicherheit zu etablieren. Und teilen das Schicksal von „Edgerunner Inc.“, die wenige Jahre nach ihrem Start von einem größeren Unternehmen der Branche geschluckt und „restrukturiert“ wurden.

Es gibt natürlich keinerlei verlässliche Daten dazu, wie sich die Edge Scene seit 2020 entwickelt hat. Aus dem Bauch gesprochen sind wohl rund drei Viertel corporate gegangen, vom verbliebenden Viertel sind etwa drei Viertel durch Alter und fehlende Updates ihrer Warez „ausgemustert worden“ (also verarmt oder im Ruhestand) und das verbleibende „Viertel eines Viertels“ teilt sich erneut auf in jene, die weitermachen wie bisher und sich irgendwie durchschummeln, und jene, die ihre Attitude zum Terrorismus weiterentwickelt haben und einer bedauernswerten Schicht weltfremder Spinner und Nihilisten zuzurechnen sind, die sich zuweilen reichlich übertrieben als „CyberGuerilla“ bezeichnet.

Was diese Terroristen, Guerilleros und Revoluzzer dabei übersehen: 2035 ist keine Zeit des Umbruchs. Es ist im Gegenteil eine Zeit der zunehmenden Stasis. Der wachsenden Gewöhnung. Auch: der Hoffnungslosigkeit. Eine Zeit, in der die technische Edge nur noch den Konzernen und deren Dienern zur Verfügung steht. In der auf Seiten der Konzernpolizei Vollcyborg-Spezialeinheiten und Agenten mit zielsuchenden Kugeln stehen gegen Punks, die so outlawed und outgunned sind, dass ein Hochrüsten in Waffen und Cyberware angesichts des damit einhergehenden, rasant steigenden Risikos der Aufmerksamkeit (und in Anbetracht der seit 2020 explodierten Kosten für Black Warez) einfach keinen Sinn mehr macht. Die Normalos, Wage Slaves und anderen Dressierten feiern die neue Zeit als eine Zeit des Friedens, der Entkriminalisierung, der Sicherheit. Diejenigen, die es besser wissen (und es trotzdem nicht verdrängen) beweinen, den Kampf um die Zukunft verloren zu haben.

2035 haben die Kons gewonnen. Auf voller Breite.
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downtown nc blues 2035
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„Ground Zero“ heißt das Bauloch, wo die Arasaka-Zwillingstürme von Night City einst standen. Nicht sehr kreativ, aber auch nicht unzutreffend. Die Bilder des Einsturzes waren sich mit Ausnahme von deren Ursache – 2001 waren es noch von islamistischen Terroristen gesteuerte Flugzeuge, heute haben wir uns zu einem (angeblich) in der Tiefgarage gezündeten Nuklear-Sprengsatz von Cyberterroristen weiterentwickelt – wirklich sehr ähnlich. Staubwolke. Geschrei. Tote. Medienrummel. Ein Millionen-Song. Merchandise. Drei erfolgreiche Movies. Oscarverleihung. TV-Dramen. Das ganze Programm.

Im Allgemeinen stehe ich dem Loch zwiespältig gegenüber. Heute schräg. Ich hocke in meinem Americar Scooter, blicke kurz ins rote Licht des silbernen, zylinderförmigen EBB Credscanners, bezahle per Retina meine Nachos und schicke den Straßenverkäufer seines Weges. Irgendwo hinter mir hupt es. Davon geht der Stau auch nicht schneller weg. Kostet den Hupenden aber 5 eb, wenn er es noch mal macht. Automatisch. Die Warnung dürfte ihm grade eingeblendet werden. Als Scrolltext unter dem TV-Fenster, das bei ihm – wie bei mir, wie bei allen, die kein Preboot-Car fahren – den größten Teil der Windschutzscheibe füllt. Während der Autopilot immer mal wieder schrittchenweise weiterfährt. Mein Scrollbalken warnt mich, dass Nachos nicht gut für mich sind. Aber da ich ja wenig Zeit habe, könne schon ein BioLife PowerBar™ mit Stoffwechselbooster helfen, überflüssige Pfunde erst gar nicht entstehen zu lassen. Eine Nachricht der Temple IG für BioTechnica. Macht das Leben lebenswert.

Ich lese die Werbung schon gar nicht mehr. Im ersten Jahr seit dem Reboot, dem großen Neustart der Wirtschaft und des Lebens nach der EMP Blockade der Orbitalen und dem Ende es Steinbrocken-Krieges, machte es mir noch ziemlich zu schaffen. All die personalisierte, direkt an mich gerichtete Werbung auf den Straßen von Downtown. All die Cams, Scanner und Sniffer, die man bisher nur aus den vornehmen CorpZones der Suburbs kannte. Und die jetzt, wo Night City Central selbst zur CorpZone geworden ist, auch mich erfassen, analysieren und den umliegenden Werbetafeln und Mobiles die für mich passende Botschaft zufiltern.

Ja, durch Downtown zu fahren hat sich definitiv geändert. Ich meine, hey, DT war nie ne schlechte Gegend, aber spätestens Nachts wurde nur zu offenbar, dass die Kontrolle durch die NCPD definitiv ihre Grenzen hatte. Jetzt schmeißt die CorpSec den Laden hier – eine zusammengelegte Truppe früher nach Firmen getrennter Konzernsicherheitskräfte, die häufiger gegeneinander als gegen Outsider und Punks kämpften. Well, nicht mehr. Die Quasi-Befriedung des Wettbewerbs untereinander hat auf Seiten der Corps ungeheure Manpower und Equipment freigestellt, das nun gepoolt und zum Schutz der Kon-Interessen eingesetzt werden kann. Pech, wenn man da den falschen Sponsor hat.

Mein Sponsor ist MallMart Platinum. Nichts Besonderes. Nichts, womit man in bevorzugte Corp Bereiche vorgelassen würde, gewiss nichts, was einem eine gute Stellung, die richtigen Freunde, die wichtigen Connections beschafft. Aber die Platinkarte dieses offenen, das heißt: für jeden gegen einfache Bezahlung zugänglichen Sponsors zeigt zumindest, dass ich regelmäßig mein Abo zahle und somit „geschäftswürdig“ bin. Und das ist das Zauberwort der Nach-2030er.
Surrend setzt sich mein Scooter in Bewegung, verlässt den Stau Richtung Windham Arkologie, beschleunigt auf sagenhafte 25 mph, um sich ebenso surrend in den nächsten Stau einzufädeln. Manche Dinge ändern sich im Center eben nie.
Die Straße, in der ich jetzt voran schleiche, sieht pfuschneu aus. Ist sie auch. In den letzten zwei Jahren wurde in Hochgeschwindigkeit das fortgesetzt, was MegaCon (eigentlich MCG, die Mega Construction Group) – der zentrale Baumulti der Megakons (man beachte das Wortspiel, ha, ha) – schon seit seiner Gründerzeit vorantrieb: Den Totalabriss des alten Night City und die Schaffung der revampten „Metropole der Zukunft“ – alles up to date.

Früher kannte ich hier mal ne nette, kleine Kneipe. Heute kenne ich hier gar nichts mehr, und wüsste auch nicht, was ich zwischen Modeboutiquen, MallMarts und antiseptisch designten Corporate Housing Blöcken zu suchen hätte. Scheiße, selbst die DataTerms kannst du vergessen. Früher, das weiß ich noch, bin ich und die Jungs alle paar Tage mal aus der Zone ins Center gefahren, weil hier die DataTerms funktionierten und diese mit ihrem offenen Netzzugang eine super Infoquelle waren (von der Möglichkeit, über das PrivateNote™ System versteckte Nachrichten an Kontaktpersonen zu hinterlassen, mal ganz zu schweigen).

Heute gehört DataTerm zum Multi Stations Network (msn), und das wiederum gehört zu 100% dem Gobal News Service GNS. Also gibt es nur noch GNS Ware. Auch wenn man es ihr nicht ansieht (und Menüs mit Auswahl von über 300 News- und Unterhaltungs-Channels alleine für Amerika geben einem verdammt noch mal nicht das Gefühl, dass man gerade mit massiver Corp-Gehirnwäsche zugeballert wird. Aber erzählt das mal den Fans von verdeckten pseudo-lieberalen Net54 (=GNS) Stationen wie Pyrate1, Smash!, L33t, FreeVoice oder RebelYell-66). PrivateNote™ gibt es weiterhin. Zur Freude der Schnüffler der Law Enforcement Division (LEDiv), der Domestic Security Agency (DSA) und dem weiterhin gerade im Knotenpunkt NC extrem einflussreichen Center for Disease Control (CDC). NetWatch is everywhere. Die Company scannt, filtert, vergleicht, erstellt NutzerTäterProfile (NTPs bzw. USPs (UserSuspectProfiles)) – und schiebt verdächtige Daten an den jeweiligen ISA-Client oder den interessierten Orbital weiter.

Eben passiere ich einen Truck des Bureau of Relocation (BuReLoc). Auf dem weißen Lack glänzt der Claim im Sonnenlicht: „Building a place for America’s Homeless”. Dass die meisten jener Obdachlosen es gar nicht wären, wenn sie nicht von MegaCon aus ihren nun abgerissenen Wohnungen geworfen worden wären, erwähnt der Claim natürlich nicht. Überhaupt ist das BuReLoc der magische Zauberstab der Ordnungskräfte: Ob es um reale, eingebildete oder offiziell gemeldete (= durch das CDC oder eine andere ISA-Behörde behauptete) Risikoherde der Carbonseuche geht, um Grundstücksspekulation, Urbane Erneuerung oder Abschiebung von Unerwünschten – immer steht das BuReLoc mit Truck (und Gewehr) bei Fuß, das Problem – oft unter Polizeischutz – zu lösen. Was dann mit den Obdachlosen, Illegalen Einwanderern, Unerwünschten, Ausgebrannten, Asozialen und angeblich Carbonkranken passiert? Das will keiner wissen. Ich auch nicht.

Ein Konzerncop blickt zu mir rüber. Ich grüße ihn. Nur keinen Stress in Central NC. Ich knabbere meine Nachos und flippe weiter durch die Kanäle. Checke ab und an die sich selbsttätig öffnenden und schließenden Pop-Ups neben dem TV Window, die mich auf für mich interessante Angebote und Infos der Gebäude, Shops und Malls hinweisen, an denen ich vorbei rolle. Ich entdecke einen Reisebag, der mir gefällt. Schiebe meine MallMart Platinum Karte in den Chipslot des Armaturenbretts, bezahle und geschlichene 15 Meter später legt ihn ein Shop Courier in meinen Kofferraum. Wieder Geld ausgegeben für was, das ich nicht wirklich brauche. Aber die Farbe passt (nicht zufällig) zu meinen neuen Boots, die ich mir vor drei Ecken hab reinreichen lassen.
Ich schalte um auf Handsteuerung. Das Lenkrad schnurrt mir entgegen und rastet mit sounddesigntem „Whump“ ein (eine kleine Melodie spielt dazu). Das TV-Window schließt sich, das letzte Pop-Up warnt mich, dass ab jetzt mein Versicherungsrating wechselt. Die gleiche Nachricht, rot umflammt, erhalte ich noch mal 200 m später, als ich durch den Checkpoint Richtung Outside fahre. Raus aus der Corpzone. „Keine Versicherung für Unfälle, Diebstahl und Beschädigung jenseits dieser Grenze“. Ich weiß.

Der Verkehr stirbt schlagartig. Ich gleite an Baustellen vorbei, dazwischen einzelne Wohnblocks, die in verschiedenen Stadien des Abbruchs sind. Zehn Blocks später bin ich raus aus dem Randbereich und im Outside Sektor, der ehemaligen Zone, an deren frühere Härte und Freiheit wenig erinnert außer den Schrottbergen des ganzen Elektro-Trashs, der durch den satellitengesteuerten EMP-Puls funktionslos wurde. Was ein Geschäft für die Elektroindustrie. Landesweite Verschrottung durchsengter Apparate, TV-Sets, Kühlschränke, Computer, Konsolen, Cyberware. Alles, was während der Blockade grade eingeschaltet war. Angeblich bekamen orbitalfreundliche Konzerne ein Pre-Warning.

Langsam füllen die Straßen hier draußen sich wieder. Nur die Autos sind andere. Alte Schrottmühlen im Nomaden-Stil, robust, unverwüstlich, die Art Karre, denen ein EMP nur die Batterie und ein paar Sicherungen und Servos zerschießen konnte – nichts, was ein Techie nicht wieder hinbekommen würde.

Die Straßen gehören noch immer den Gangs. Die aber backen kleine Brötchen, um nicht die Aufmerksamkeit der Cops – ja, des guten alten NCPD – auf sich zu ziehen. Von der CorpSec aus dem Zentrum vertrieben, haben die Cops ältere, zum Teil sogar aufgegebene Reviere übernommen. Ausgestattet mit Waffen, Fahrzeugen und Überwachungstechnik der vorigen Generation – dem abgelegten Kram der CorpSecs, sozusagen – sind die Cops heute trotzdem besser ausgestattet als je zuvor. Sehr im Gegensatz zu ihren Gegnern, die EMP, Outlawing von Cyber und Waffentech und Xtrem Harassing heutzutage kaum noch vercybert sind. Und deren Bewaffnung sich in Grenzen hält. Vor allem in der Öffentlichkeit.

Ein paar Hoodies stehen auf der Straße und machen vor meiner Karre dicht. Einer kommt an mein Fenster, der Kopf unter einer Kevlar-Kapuze, eine Sonnenbrille mit irgendwelchen Upgrades, Piercing an den Augenbrauen, stemmt die Hände in die Hüften, so dass sich seine Jacke teilt und ich die 9 mm in seinem Gürtel sehen kann. Bestimmt packen 1-2 seiner Jungs auch was Heftigeres. Egal. Ich will mich eh nicht zoffen. Stattdessen greife ich langsam in die Mittelkonsole, hole ein Bündel Scheine raus – Outside ist eh der einzige Ort, wo man Bargeld noch nimmt – ziehe nen Zwanni und geb ihn ihm. Er überlegt, ob er auf Stress machen und mehr fordern soll, checkt meine NeoJacks – Trodes, die ich mir nach dem ReBoot neu zulegen musste – und dazu mein zerfurchtes Gesicht und weiß, dass er es mit nem Old School Punk zu tun hat. „Bones“, Knochen, wie man die paar von uns nennt, die noch im Outside abhängen und trotzdem nicht verhungert aussehen. Er grinst, nimmt das Geld, klopft mit der flachen Hand aufs Dach, sprayt sein Tag auf meine Haube (es wird sich durch in ihm enthaltene Naniten binnen 10 Stunden wieder auflösen) und schiebt ab.

Mit dem Tag auf der Haube bin ich safe vor weiteren Straßenabzockern dieser Gang und theoretisch dessen Tribes. Hängt davon ab, ob das System des Geldtransfers im Tribe funzt oder nicht. Wenn es funzt, geben die Gangs mit viel „Kundschaft“, also die mit Turf nahe der Corpzones und mit Durchgangsstraßen einen Anteil ihrer Beute an alliierte Gangs in ärmeren Gegenden ab. Dafür unterstützen die Gangs im „Hinterland“ ihre Genossen an der Front mit Manpower und Hardware, wenn es einen Turfkrieg mit einem benachbarten Tribe gibt. Meist funzt die Mikroökonomie. Manchmal aber auch nicht. Hängt davon ab, wie alt der Tribe ist und wer ihn managed. Im Falle der East-23rds, die zum Spook Tribe gehören, ist es ein Fixer namens Goosebump, der als verlässlich gilt. Zumindest was die Kontrolle seiner Jungs angeht. Allemal 20 wert. Gut angelegtes Cash.

Tatsächlich durchquere ich drei weitere Hoods der Spooks, ohne angemacht zu werden. Ich parke vorm R/Evolution, nicke dem Gangsta an der Ecke zu, ein Halbasiate, vielleicht von Hawaii, mit Flash-Tattoos an den Armen, dazu sündteure schneeweiße Kitaro Scaves (der lateste Turnschuh-Trend), und ich trete durch die bewusst verschmierte Glastür ins Halbdunkel des in der Hood schwer angesagten Clubs.

Wände und Decke sind mit Trash gestaltet. Gothic meets Giger. Die Kundschaft: schwer LoTek. Keine offene Cyberware. Ist gut gegen die Paranoia. Cyberware bedeutet CorpWare seit dem ´Boot. Speziell was größere Implantate oder ´Borgs angeht.

Eine in die Fußmatte eingearbeitete Waage gibt grünes Licht. Mein Gewicht ist normal. Menschlich. Auf einer kleinen Tanzfläche zur rechten zappeln ein paar Hedz – Musikjunkies, die sich ihre Lieblingsmucke direkt in Gehörimplantat oder Hirn spielen lassen. Und deren Bewegungen demzufolge nichts mit dem sanft wummernden Urban Groove zu tun haben, den die anderen Chiller im Club hören.

Ich treffe Mike – eigentlich MyKey – an der Theke. Sein Kopf ist rasiert – ist grade wieder mal in – sein Kinnbart sauber auf 3 cm gestutzt, der restliche Bart in ein kompliziertes Tribal rasiert (vielleicht ist es auch ein Implantat, ich weiß es nicht und es ist mir auch Wurst, ich will Business machen, nicht ihn poppen). Keys Augen sind cybermäßig versilbert, aber das sind nur Haftschalen. Anti-Scans. Modell IDProtect, entwickelt eigentlich für Celebrities, die mal ungetraced shoppen gehen wollen. Die Augen lässt sich heute kaum noch einer rausnehmen. Ist auch irgendwie krank, wenn man so im Nachhinein drüber nachdenkt. Über einem Spandex-mäßig engen Top mit Cybercrime-Logo trägt er eine offene weiße Flakweste (Alessandro Danté, NY) mit Dutzenden aufgenähten Taschen, dazu schwarze Ra! Baggies mit rotem Hassflasher an der Seite und Nike™ Combat Sneaker mit düster violett leuchtender Sohle. Er hat nen Keé-Knopf seitlich an der Stirn, Kirushi, ein sleekes schwarz-verschromtes Teil mit hastig pulsierender LED, und am Arm trägt er das dazu gehörige Slaveband, ein Handy-Armbanduhr-Computer-Notepad-Multi-Dingsbums, ohne das kaum jemand rumläuft heutzutage.

Außer NeoLudditen und Technikskeptikern, natürlich.

Ich gehöre zu Zweiteren. Schon der Straßenname „Sklavenband“ macht mich misstrauisch. Dass die Dinger so billig sind, trägt nicht zu meiner Beruhigung bei. Wer weiß, welche Nanotech inoffiziell in so nem Ding steckt. Oder welche SpyWare Goodies sich irgendwann nach dem Kauf unfreiwillig aus den Tausenden nützlicher Must-Have Upgrade-Daten runterladen.

MyKey sieht mich und stöpselt sich aus. Schön, dass es Leute gibt, die einen kennen. Wortlos reiche ich ihm eine verbeulte mehrschichtige Metalldose, wortlos legt er Slaveband und Hirnpiece hinein. Man kann heute nicht vorsichtig genug sein. Jetzt können wir reden. Ich weiß, dass Mike mich für einen Spinner hält. Sein Vortrag darüber, dass irgendwelche Nanosender ja ebenso gut in meinen oder seinen Klamotten sein könnten, der Typ neben uns an der Theke ein Snoop sein oder ein Satellit mit Ultrascannern mich auf Schritt und Tritt tracen könnte haben mir ne Woche lang Paranoiaschübe und Alpträume eingebracht. Jetzt habe ich GoEasy™ Tranqpillen von Temple, ich ignoriere, dass er absolut Recht hat, ignoriere ebenfalls, dass ich mir gerade von nem Mega gefertigte, vermutlich süchtig machende Persönlichkeitsveränderer reingedübelt hab, und konzentriere meine Paranoia auf sein Slaveband. Das ist zwar weltfremd, aber so komm ich klar. Ich hab keine Lust zu cracken und irgendwann wild um mich zu ballern, weil ich befürchte mich bei nem Typen, der mich komisch ansieht, mit Hirn-Naniten anzustecken. Brauch ich nicht. ECHT nicht.

„Wie geht’s?“, fragt Mike. „Cryo“, sag ich und bestell mir erstmal nen Frozen Florida und nen Snippet, mein Start in den Abend. „Macht der Job?“ fragt Mike. Ich zucke die Schultern. Fühle mich noch immer schmutzig dabei, nen geregelten Paycheck zu haben, auch wenn’s von ner straßentauglichen Corp wie Stormcrows ist. Gut, dass es meinen Kollegen da ähnlich geht. Die Stormcrows waren noch bis ´33 ein Nomadenrudel. Keine Ahnung von welcher Nation. Die ´Mad Nations sind eh Geschichte. Dann haben sie nen großen Baujob an Land gezogen, die EBM Enklave in Pacifica. Dann wurde wegen irgend einem Scheiß nachverhandelt, Versicherungsänderungen beim Auftraggeber, blah blah, da mussten sie ne Firma werden oder hätten den Job an MegaCon verloren. Jetzt sind sie ne Corp, und MegaCon steht alle Nase lang auf der Matte mit Beteiligungs- und Übernahme-Angeboten. Nicht um Männer und Material geht es in Wahrheit, nur um den EBM Job. Inzwischen ist die Stimmung am Kippen. Zu viele Unfälle, zu viele Lieferschwierigkeiten, Verzögerungen im Bauplan, dementsprechende Verzugszahlungen an den Bauherren, steigende Verpflichtungen, plötzlich unkooperative Banken, das ganze Zermürbungsprogramm. Ich und ein paar andere Ex-Punks arbeiten in der Sicherheit der Stormcrow Inc. In der Abwehr von Sabotage, Anschlägen und Extraktionen. Ein Fulltime Job. Der selten ein Happy End hat.
Das Gute ist: Man hat die Cops auf seiner Seite. Oder ich hab zumindest EINEN Cop auf meiner Seite. Wir haben uns über meine diversen Besuche auf dem Revier kennen gelernt, bei denen ich Anzeige gegen unbekannt im Auftrag der Crows erstattete. Er kann mir nicht helfen, bis ich was Solides in der Hand habe – und selbst dann wird das Verfahren vermutlich eingestellt – aber er fühlt wenigstens mit. Hat früher im Center gearbeitet. Regt sich auf über die CorpSecs, das Zweiklassen-Recht der ISA, die Orbitals, überhaupt alles. Wenn er nicht ne Familie hätte, würde er Guerilla gehen. Sagt er. Glaubt er vielleicht sogar. Und wer weiß, möglicher Weise stimmt’s.

Ich puste den Nebel von meinem Florida und nehme einen tiefen Zug. Downe den Snippet, genieße das cryo-kalte Feuer und lasse nachfüllen. „Wie weit bist du mit der Okano-Sache?“ presse ich hervor, die Phantomhitze noch immer in der Kehle. Mike zuckt die Schultern: „So weit wie letztes Mal. Was erwartest du auch? Du willst nem schlafenden Tiger ins Arschloch gucken, ohne ihn zu wecken. Entweder ich gehe kleine Schritte und schleiche Kilometer weit um die Wahrheit herum – was bedeutet, ich scanne die Daten aus der Zeit, wo Okano bei Arasaka in Ungnade gefallen war, nach dem Klon-Desaster mit Norcross, als er am sprichwörtlichen Fensterplatz saß, oder ich gehe an die Quellen ran, die enger am Puls sind. Und da sind die Chancen gut, auf ne Mine zu latschen.“ Ich weiß, dass er Recht hat. Aber ich weigere mich einmal mehr, die Niederlage gegen „die da oben“ zu schlucken. Erst Recht deshalb nicht, weil Okano SO weit oben – Orbital-oben meine ich – gar nicht ist. Nur eben verdammt nah dran.

Scheiße, Arasaka sah schon mal am Ende aus. Saburo tot bei der Zerstörung der Zentrale, Kei und sein rebellischer Bruder, wie immer der nochmal hieß, tot beim Einsturz der Night City Türme, das Familienvermögen durch den sinnlosen Konzernkrieg gegen Militech irreparabel geschädigt, große Teile der Man- und Hardware vernichtet. Wenn die Arasaka Bank nicht wäre und das alte Netzwerk aus Kontakten in Fernost, wäre der Konzern beerdigt. So wie die von Militech, die jetzt unter dem Namen „American Militech“ alleine durch Waffenproduktionen für die IS Truppen weiterwurschteln. Arasakas Geschichte würde sich nur fortsetzen, wenn ein männlicher Arasaka-Erbe auftauchen würde. Und den hatten gleich eine ganze Reihe Haie wie Okano vor, der letzten Erbin Saburo Arasakas in den sehr realen Schoß zu legen. Der Vorsitz eines Seiji Okano als Chef von Arasaka wäre vorübergehend. Nur, bis der Sohn die Geschäfte übernehmen kann. Aber in 20 Jahren kann viel passieren. Speziell dann, wenn man sich Okanos Geschichte und dessen exzellente Kontakte zur Klonbranche ansieht.

Dass ich überhaupt auf Okano aufmerksam wurde, war eher Zufall. Sein Name war mir durch die Berichte – mehr den Straßentalk, als es so was noch gab – im Zuge des Klonskandals noch irgendwie bekannt. Auf ihn aufmerksam wurde ich jetzt aber durch meine Arbeit für die Stormcrows (ja, gut, die Stormcrw Corporation), zu der u.a. das Durchleuchten von MegaCon und deren Vernetzung mit der Stadtverwaltung, dem Konzernrat und dem kleinen, aber speziell nach dem Ende der Arasaka-Türme ungewöhnlich einflussreichen „Night Club“, korrekter: der Night City Business IG.

Dem „Club“ nämlich gehört neben Kurosawa Kenzo, dem MegaCon Vorsitzenden, auch Okano an. Gelistet zunächst für DMS, dann – überraschend und sans commentaire – wieder für Arasaka, der Firma, die er noch unter Saburo feindlich zu übernehmen versuchte und die ihn – schon damals seltsamer Weise – nicht umbrachte, sondern zu DMS „transferierte“.

Natürlich ist mir klar, dass ich gegen Okano und sein Netzwerk nichts tun kann. Die Zeiten, wo ein Punk mit den richtigen Connections in der Szene und den Medien einen Großindustriellen ins Wanken bringen konnte, sind passé. Meine Contacts in der Medienszene machen News nach Vorgabe oder sind im Ruhestand. Meine Solo-Kumpels wurden rekrutiert, gedanced und reprogrammiert oder sind abgetaucht. Und was die Netrunner angeht: seit die Megas ihre sensiblen Daten vom Netz genommen und in Datentresore versenkt haben, ist Hacking nur noch ein trauriger Schatten einstiger Glorie.

Trotzdem. Irgendwo in mir rührt sich noch ein Rest von Punk. Vielleicht ist es der sentimentale Impuls von jemandem, der auf seine MIdlife Crisis zustolpert. Vielleicht ist es nur etwas, was mein Hirn wach und in Gang hält. Oder mich von der Vielzahl meiner undiagnostizierten Psychosen ablenkt. Aber ich habe wieder begonnen, Fragen zu stellen. Und auch, wenn niemand je die Wahrheit erfahren wird, die ich vielleicht finde, auch, wenn es dafür ken Cred gibt, keine Rep, nur einen Stun-Shock und ein weißer Van, der mich abholt und in eine Hirnfarm schafft:

Ich will das Licht der Wahrheit noch einmal sehen.
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